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Die vergessene Generation von Sabine Bode

vergessene generation kriegskinderViel erzählten mir meine Eltern nicht über den Zweiten Weltkrieg und die Zeit danach. 1945 war mein Vater zehn Jahre alt, meine Mutter acht. Sie lebten im Westen Deutschlands an der Grenze zu Frankreich und am Dorf führte eine Reichsstraße vorbei, über die Amerikaner und Franzosen die deutsche Wehrmacht zurückdrängten. Diese Straße wurde schwer bombardiert. Mein Vater und seine Freunde sahen tote Pferde, ausgebombte Fahrzeuge, Leichen von Soldaten, schweres Kriegsgerät, das unbrauchbar geworden war, an den Rückzugslinien der Deutschen liegen. Was diese Eindrücke bei ihm und seinen Freunden bewirkten, darüber sprach er nie. Auch nicht über seine Angst, wenn die alliierten Bomber über den Ort Richtung Rhein flogen und ihr Dröhnen im Keller des Elternhauses widerhallte. Aus Ludwigshafen waren stramme Nazis in sein Elternhaus einquartiert worden. Im Haus meines Großvaters, der als Arbeiter und Katholik Hitler und die Nazis ablehnte. Über dieses Zusammenleben ebenfalls kaum ein Wort. Meine Mutter scheint sich an gar nichts mehr erinnern zu können, außer dass ihr Vater im Krieg war und er erst zurückkehrte, als sie schon sieben Jahre alt war.

Was Kriegskinder prägte

Meine Eltern sind mit ihrem Schweigen über die Zeit des Zweiten Weltkrieges keine Einzelfälle, wenn ich Sabine Bode und ihrem Buch Die vergessene Generation glauben darf. Weil ihre eigenen Traumata gegenüber den Traumata der Naziopfer zurücktreten mussten, hätten die Kriegskinder ihre eigenen seelischen Nöte über Jahrzehnte weggeschlossen und mit sich herumgeschleppt. Sabine Bode bezeichnet diese Kinder als „stille Generation“, die sich nicht über ihr Schicksal beschwerte, Sicherheit suchte, Deutschland wieder aufbaute, Disziplin über alles hielt … Anpassung und Leistung waren die Werte dieser Generation. Die Verarbeitung der Schrecken des Krieges trat dahinter zurück.

Die Kriegskinder prägte vielfach die nazistische Erziehung: Kälte, Erziehung zu Härte und unbedingtem Gehorsam. Kein Wunder, dass diese Generation die Schrecken, die sie durchlebte, entweder herunterspielt oder sich ihrer nicht bewusst ist. Bis sie von ihnen eingeholt werden und im Alter Depressionen, Gedächtnisverlust oder posttraumatische Belastungsstörungen auftreten. Zwar sprach die deutsche Öffentlichkeit später über die Nazizeit, aber privat in den Familien wurde kaum darüber gesprochen.

Sabine Bode und die verlorene Generation

Sabine Bode will nicht Leid gegen Leid aufrechnen. Es geht ihr nicht um moralische Aufrechnung, sondern allein um das Aussprechen der Traumata unschuldiger Kinder im Krieg, die keine Täter waren. Sie verbrachten Nächte in Luftschutzkellern, wurden ausgebombt, auf der Flucht von Tieffliegern gejagt, sahen, wie Frauen, ihre Mütter vergewaltigt wurden, oder mussten hungern und in brennenden Städten um ihr Leben laufen. Anders als diese Kriegskinder meinten, haben ihnen diese Erfahrungen doch geschadet. Kein Kind ist hart wie Kruppstahl und auch eine kleine Preußin kann nicht alles ertragen. Jetzt, da diese Generation im Ruhestand lebt, kommen bei vielen unverarbeitete Ängste und Erinnerungen hoch, nachdem ihr bisheriges Leben von dem Satz geprägt war: „Sei froh, dass du überlebt hast und schau lieber nach vorne!“ Im Alter jedoch ist ein Überdecken der Kindheitstraumata durch Arbeit und Beruf nicht mehr möglich. Andere Kriegskinder können ihr verpfuschtes Leben nicht mit verdrängten Kriegserlebnissen in Zusammenhang bringen.

Weiterwirken des Zweiten Weltkrieges

Dabei wirken die Kriegserlebnisse der Kriegskinder bis in die Generation der in den 1960er Jahren geborenen Kinder hinein. Das Verhalten ihrer Eltern prägte auch sie. Hartnäckig halten sich die Spuren des Hitlerismus und Krieges in der Familiengeschichte. Vor allem dann, wenn niemand darüber spricht. Ich erinnere mich noch, meinen Teller leer essen zu müssen, auch wenn ich keinen Hunger mehr hatte. Und das Schulbrot wurde eingepackt, ob ich es wollte oder nicht. Und oft legten sich die Frustration und Resignation der Eltern über ihr eigenes emotional verkümmertes Leben, in dem Anpassung und Sicherheit die höchsten Werte waren, drückend auf das Gefühlsleben der in den 1960er Jahren geborenen Kinder.